Gute Lebensqualität am Lebensende? Rückblick auf den Vortrag von Albert Wettstein
An der Weiterbildung für Menschen, die sich im Pastoralraum Region Brugg-Windisch für die Besuchsdienste engagieren, sprach Albert Wettstein, Alt Chefarzt des Stadtärztlichen Dienstes Zürich. Er berichtete am 23.Mai 2017 in seinem öffentlichen Vortrag im Katholischen Kirchenzentrum St. Franziskus Schinznach-Dorf, was man im letzten Lebensjahr zu erwarten hat, warum alle eine Patientenverfügung haben sollten und wie Sterbefasten funktioniert.
Ein plötzlicher Tod erscheint vielen Menschen als ein guter Tod. Selbständig zu bleiben bis am letzten Tag, um dann zuhause einzuschlafen, ist wünschenswert. Doch statistisch gesehen, wird das nur wenigen – gerade mal 10% – vergönnt sein. Die Hälfte von uns muss sogar damit rechnen, die letzten Lebensjahre in grosser Unselbständigkeit zu verbringen. Das bedeutet jedoch nicht, dass man deswegen leiden muss: «Es kann auch befreiend sein, wenn man im Alter gewisse Dinge abgeben kann, die man sein Leben lang tun musste. Wer 70 Jahre lang Steuererklärungen ausgefüllt oder Treppenhäuser geputzt hat, kann das bestätigen», betonte Alt Stadtarzt Albert Wettstein und erntete damit grossen Zuspruch aus dem Publikum.
Angst vor langer Leidenszeit Die allermeisten Menschen sagen, dass sie den Tod einem langen Dahinvegetieren vorziehen, dass sie nicht leiden wollen, keine Schmerzen, Hunger und Durst erleiden wollen. «Doch ist das in der heutigen Realität überhaupt etwas, wovor man sich fürchten muss?», fragte Wettstein. «Nein», führte er aus: Eine gesamtschweizerische Erhebung besagt, dass heute fast alle Sterbenden, nämlich 82%, bewusst auf theoretisch mögliche lebensverlängernde Massnahmen verzichten. Ganz anders als etwa in den USA, wo es immer wieder tragische Fälle gibt, in denen Angehörige darum kämpfen müssen, dass Familienmitglieder von lebenserhaltenden Maschinen «getrennt» werden.
Patientenverfügungen – dringend empfohlen Alle, die schwerkrank sind oder sterben, haben in der Schweiz heute Zugang zu angepasster Medizin, Pflege und Begleitung. So sieht es die nationale Palliativstrategie von Bund und Kantonen vor. Niemand ist mehr gezwungen, Schmerzen einfach zu ertragen. «Das Leiden zu lindern, ist allerdings eine Kunst, die nicht alle gleich gut beherrschen», relativierte Wettstein.
Lebensverlängernde Massnahmen werden oft auch nicht von den Patienten, sondern von den Angehörigen gewünscht. Auch deshalb rät Wettstein: «Nehmen Sie das in die eigene Hand! Sprechen Sie mit Angehörigen, was Sie sich wünschen! Schreiben Sie Ihre Patientenverfügung!». Es gebe dazu gute Vorlagen von Caritas, Pro Senectute und dem Berufsverband der Schweizer Ärztinnen und Ärzte, FMH.
Alt und lebenssatt und bereit zu sterben: Sterbefasten als Lösung Was passiert aber, wenn man alt und lebenssatt ist wie Hiob und beschliesst zu sterben? Wettstein denkt dabei nicht an Suizid, sondern an ein Phänomen, das auch schon alle bei Angehörigen erlebt haben. Die Schwerkranken hören einfach auf zu essen und zu trinken. Das sei eine ganz alte Tradition, erklärt Wettstein. Der Stoffwechsel stelle sich relativ schnell darauf ein: Man werde immer müder und schläfriger, schlafe schliesslich ein, falle ins Koma und sterbe. Die Pflege gestaltet sich während dieses «Sterbefastens» angenehmer, da es keine körperlichen Ausscheidungen mehr gibt; dank wasserarmem Blut schrumpfen etwaige Tumore, die Todkranken haben weniger Schmerzen. Und sollten sie sich doch entscheiden weiterzuleben, trinken und essen sie einfach wieder. Unangenehme Phänomene wie Unruhe, Halluzinationen und Angst könne man gut medikamentös behandeln. Wettstein beschreibt das Sterbefasten im Alter als eine Erleichterung und Option, die leidensfrei und ganz natürlich sei.
Der öffentliche Vortrag fand statt im Rahmen einer Weiterbildung für Menschen, die sich in Besuchsdiensten für ältere Menschen im Pastoralraum Region Brugg-Windisch engagieren. Ihre Arbeit reflektieren die Freiwilligen regelmässig in Weiterbildungsangeboten, wie dem Vortrag von Albert Wettstein. Wer Interesse an weiteren Vorträgen oder am Besuchsdienst hat, melde sich bitte bei Nicole Macchia, Seelsorgerin in Riniken und Verantwortliche für die Besuchsdienste des Pastoralraums Nicole.Macchia@kathbrugg.ch oder Tel. 056 441 88 42.
Weitere Bilder vom Vortrag finden sich hier
im FlickRr-Album des Pastoralraums.
Dr. med. Albert Wettstein war lange Jahre Chefakrzt des Stadtärztlichen Dienstes Zürich.in Zürich.
Datum der Neuigkeit 24. Mai 2017