Den göttlichen Funken teilen - Podiumsdiskussion im Odeon, Brugg
Wie gehen Kirchenzweifel und Gottesglaube zusammen? Vier Menschen – eine feministische Theologin, ein Wissenschaftler, eine frisch ausgebildete, junge Theologin und ein Kapuziner gaben dazu am Dienstag, 28. März, im Forum des Kulturhauses Odeon in Brugg Auskunft.
Kirchenzweifel haben reichlich Nahrung gefunden in den letzten Jahrzehnten. Das zeigt sich nicht unbedingt in der Mitgliederzahl: Noch nie hat es so viel Katholikinnen und Katholiken im Aargau gegeben wie heute. Doch Gottesdienste werden immer weniger besucht, die Beteiligung am kirchlichen Leben nimmt ab. Zugleich zeigen Untersuchungen, dass der Glaube an den einen Gott in der Schweiz nach wie vor für jede zweite Person eine grosse Bedeutung in ihrem Leben hat. Was hat es damit auf sich? Wie passen Kirchenzweifel und Gottesglaube zusammen?
Der Gesprächsabend, veranstaltet vom katholischen Pastoralraum Region Brugg-Windisch, geleitet von Jürgen Heinze, Mitarbeiter der Fachstelle Bildung und Propstei der Röm.-Kath. Landeskirche im Aargau, stiess auf Interesse: Über 100 Personen fanden den Weg ins Forum vom Odeon-Kulturhaus in Brugg. Nicht nur Katholiken sprach das Thema an: «Ich bin zwar reformiert, aber das interessiert mich auch», sagte jemand im Publikum. Um die Hemmschwelle möglichst niedrig zu halten, fand der Austausch nicht hinter dicken Kirchenmauern oder in einem Kirchenzentrum statt, sondern neben dem Bahnhof, da, wo Menschen unterwegs sind.
Vom persönlichen Glauben berichten Vorerst standen zwei Frauen und zwei Männer im Zentrum. Sie berichteten von ihrem persönlichen Glauben und sparten dabei auch die Zweifel an der Kirche nicht aus. Susanne A. Birke – Theologin und Atemtherapeutin mit Schwerpunkt auf Frauen und Gender in Kirche und Gesellschaft – ist getragen von einer Spiritualität, die sie aus Quellen der Mystik, asiatisch-feministischer und Befreiungstheologie schöpft. Sie fand ihre Inspiration in der Auseinandersetzung mit Kirchengeschichte und -forschung: «Es gibt hier ganz spannende Erkenntnisse zur Weihe von Frauen. Leider sind sie bis heute noch nicht in gewissen Hierarchiestufen in der Kirche angekommen.»
Frag-würdige Kirchenstrukturen? Nicole Macchia, Seelsorgerin im Kirchenzentrum in Riniken, hat ihr Theologiestudium abgeschlossen und steht kurz davor in den Dienst der Kirche einzutreten. Sie gibt zu, dass sie vieles an der kirchlichen Struktur frag-würdig findet – würdig, dass man nachfragt, dass man genauer hinschaut. Allerdings ist sie überzeugt vom Inhalt der Botschaft von Jesus und will ihre Zeit, Persönlichkeit und ihren Glauben mit den Mitmenschen teilen.
Und dann steht hier der emeritierte ETH-Professor Josef Reissner, wohnhaft in Brugg, der erzählt, wie er als Jugendlicher in Österreich entsetzt über die Berichte von den Gräueln des Holocaust fragte: «Wo warst Du da, Gott?» Und später, in Erinnerung an einen an Blutkrebs verstorbenen Spielkameraden: «Wieso lässt Du es zu, dass Kinder sterben?» Wo ist dieser Gott überhaupt? Hat er die Welt geschaffen und sich dann zurückgezogen? Greift er nun nicht mehr ein? Was hat es mit der Evolution auf sich, ist alles Zufall? Auf all diese Fragen gibt es mannigfaltige Antworten aus den Wissenschaften, die vieles erklären. Auch die Kirchenväter mussten sie über die Jahrhunderte hinweg akzeptieren. Und wenn auch nichts mehr bliebe, wenn bewiesen werden kann, dass es Gott gar nicht gibt, so ist Reissner überzeugt, dann bleibt doch die Liebe – ein chemischer Cocktail aus den verschiedensten Glückshormonen, ausgelöst durch Glauben ohne Zweifel.
Die Liebe ins Zentrum rücken Diesen Faden nimmt Kapuziner-Bruder Niklaus Kuster aus Olten auf, der die Liebe sehr wohl auch ins Zentrum rückt – wenn auch ein wenig anders. Der Theologe, Buchautor und einer der besten Franz-von-Assisi-Kenner im deutschsprachigen Raum, ist viel unterwegs, und kennt die Vielfalt der Kirchenbasis in vielen Teilen der Welt. Sie unterscheidet sich deutlich vom Bild der «institutionellen Kirche» hierzulande mit oft leeren Kirchenbänken im Sonntagsgottesdienst. Die Bibel erzählt für ihn eine grosse Liebesgeschichte – mit einem Gott, der ganz nahe dran ist am Menschen, seinem Glück und seinem Leid. Aus seiner Arbeit mit Ernst Sieber und Drogenkranken weiss Kuster: «Gott ist da – auch im Dreck.» Dort habe er Solidarität, Menschlichkeit und Gottesnähe erfahren.
Bruder Niklaus sieht die Kirche als Nährboden mit reichen Traditionen verschiedenster Art. Papst Franziskus habe dazu aufgerufen: «Lernen wir von den Weisheiten der Religionen!» Der Papst zeige, entgegengesetzt zu Machthabern wie Trump, Erdogan und Putin, wie auf eine ganz andere, geschwisterliche Art Führungsverantwortung übernommen werden kann.
Der Funke dieser Liebe ist in jedem von uns drin, sagt Susanne Birke. So wird auch die Vielfalt, die wir besitzen, gut sichtbar. Nicole Macchia fügt an, wie sehr es sie motiviert, dieses Feuer als Seelsorgerin weiterzugeben, zu teilen mit Menschen, etwa bei der Taufe, bei Hochzeiten, aber auch auf deren letztem Weg. Diese Gemeinschaft ist für sie ein Stück Heimat, deshalb kann sie im Mai bei ihrer Einsetzung ins Amt dem Bischof ein klares «Ja» sagen zum Dienst in der Kirche.
Meditation anstatt Sonntagsgottesdienst? Die Diskussion wird geöffnet, das Publikum miteinbezogen: Eine Frau aus dem Publikum meint, ihrer Generation liege es näher Spiritualität und Gott zu erleben durch Meditation, in einem Retreat, mit Freunden, und weniger als passive Teilnehmerin in einem Sonntagsgottesdienst. «Ja», bestätigt Nicole Macchia. «Es bringt nichts, wenn wir als Seelsorgende nur in der Kirche sitzen und warten. Wir müssen unsere Sprache ändern, rausgehen zu den Menschen und auf Augenhöhe mit ihnen sprechen. Mit ihnen ihren Lebensweg teilen.»
Hier sieht der Kapuziner Bruder Niklaus durchaus auch wieder den Wert der Institution Kirche. Einerseits mit ihrem sozialen Auftrag Bedürftigen beizustehen – nicht nur in seelischer Not, sondern auch bei handfesten Problemen unkompliziert zu helfen. Er weist auch darauf hin, was für ein Erfahrungsschatz hier verloren geht, wenn die Gemeinschaft nicht mehr gelebt wird. Denn es macht durchaus Sinn nicht als zersplitterter Haufen einsam im Nebel herumzutappen. «Wenn wir gemeinsam gehen, so können wir auf den Erfahrungsschatz zurückgreifen und ihn weitervermitteln.» Hier gibt Theologin Susanne Birke zu bedenken: «Wir müssen jedoch dringend miteinander darüber reden und aushandeln, wie wir als Kirche zusammen unterwegs sind.»
Bruder Niklaus Kuster, Susanne A. Birke, Jürgen Heinze, Nicole Macchia, Josef Reissner (v.l.n.r.)
Datum der Neuigkeit 31. März 2017